»In meinen Malereien und Zeichnungen untersuche ich das Spannungsfeld von Licht und Raum, von Fläche und Linie.
Meine Arbeiten bewegen sich zwischen Abstraktion und neu konzipierter formaler Konkretisierung. Damit ist gemeint, dass ich mich zwar am Rande der konkreten Kunst bewege, dieses Feld aber auch immer wieder verlasse, um Freiräume zu schaffen für Assoziationen, eigenen Bildern und Wahrnehmungen. Durch das feine Abstimmen und Übereinanderschichten von hellen und dunklen Flächen sowie einer harten Setzung von klaren Linien und Formen werden Bildräume formiert, welche im Laufe der Betrachtung begangen, erlebt und erfühlt werden können.
In meinen Werken sind die Grenzen zwischen Malerei, Zeichnung, Fotografie und Druck fließend.

Ich male Zeichnungen und meine Malereien erinnern an Fotografien. Mich beschäftigt die Frage nach dem Wesen der Fläche und dem Wesen von Licht. Das Licht in meinen Arbeiten entsteht durch aufgetragene Flächen. Somit wird Licht nicht dargestellt, sondern entsteht aus den Flächen heraus und wird gegenwärtig und real erlebt.
Parallel verändert sich die Licht- und Raumwahrnehmung in meinen Bildern durch die sich jeweils verändernden Lichtsituationen im realen Raum. Diese Veränderungen sind ebenso intendierte Teile des Werkes wie auch neue Interaktion zwischen Werk und Raum.«

Katja Blum, 2022

Licht. Fläche. Linie. Räume

Eintauchen, versinken, sich fallen lassen in den Raum zwischen Wahrnehmung und Empfindung – so lässt sich vielleicht der Moment fassen, in dem sich der Blick vom Objekt löst und der Prozess der Ausdeutung beginnt. In ihm entfaltet die monochrome Graphik und Malerei Katja Blums ihre Stärke. Fast unmittelbar ermutigen die Arbeiten ihre Betrachter*innen, sich vom Abtasten des Bildträgers zu lösen und dem Sog der Bildfläche nachzugeben. Was dann beginnt ist ein Balanceakt aus Sehen und Empfinden. Während man sich noch fragt, welche Arbeitsprozesse und Techniken diesen stillen Kompositionen zugrunde liegen, breitet sich bereits ein Gefühl der Ungewissheit aus. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um Graphit oder Öl handelt: Durch feinste Nuancierungen entstehen diffundierende Atmosphären.

Mit stark reduzierten Mitteln und technischer Präzision ausgeführt, verweilen die Arbeiten Katja Blums in diesem Schwebezustand, der sie offen hält für kontextuelle Verschiebungen und wechselnde Interpretationsimpulse. Je nach Ausstellungsthema, Lichtsituation oder gar innerer Verfasstheit der Betrachtenden, bringen die Arbeiten neue Assoziationen hervor. Sie können düster, still und zugleich warm wirken, wie etwa die Werke, die für die Ausstellung Deep Sea entstanden sind. Oder sie können, wie die Arbeiten in Öl, von einer intensiven Helligkeit geprägt sein, die sowohl grell als auch tief berührend empfunden werden kann. Das sensible Abwägen von Leere und Verdichtung sowie die subtilen Übergänge zwischen Hell und Dunkel schaffen Unklarheit darüber, ob sich Licht oder Schatten durchsetzen wollen. Unruhe wie auch Geborgenheit werden dadurch als emotionale Konsequenzen einer intensiven Betrachtung möglich. Aus dem eingeübten Muster, eine möglichst eindeutige künstlerische Intention zu entschlüsseln, wird vielmehr eine Auseinandersetzung mit der eigenen Verfasstheit.

In diesem Sinne zeichnen sich die Bilder Katja Blums durch eine gewollte Hierarchielosigkeit aus. Sie drängen nicht aufs Verstehen, sondern führen jeweils unterschiedlich an das Sehen heran. Ebenso nähert sich die Künstlerin in ihrem Atelier iterativ dem Verständnis ihrer Gestaltungsmittel an: Neuer Tag, neuer Versuch, neues Ergebnis. Auch, wenn die Parameter immer wieder die gleichen zu sein scheinen, Eindruck und Ausdruck der Resultate verschieben sich stets. Folglich gibt Katja Blum den Betrachtenden ihrer Arbeiten keine Antworten, sondern bindet sie ein in ihre eigenen Befragungen des Zusammenspiels von Licht, Fläche, Linie, Raum. Durch den wechselnden Einsatz von Graphit und Öl, das pointierte Einfügen gegenständlich anmutender Akzente und das vorsichtige Experimentieren mit Farbigkeit lotet Blum das Wirkungsspektrum dieser Grundelemente aus. Sie sucht jedoch keine lineare Entwicklung, sondern praktiziert ein beständiges Wiederaufnehmen und Variieren bereits erprobter Herangehensweisen. Architektonische Formen und scharf umrissene Freiflächen etwa, welche die Künstlerin aus der mehrjährigen Beschäftigung mit urbanen Strukturen in ihre jüngeren Arbeiten hinüberführt, bilden einen Nachklang früherer Fragestellungen, die immer wieder aufscheinen. Als markante, graphische Setzungen verdeutlichen sie den Betrachtenden erst im direkten Vergleich, welche Anziehungskraft von den umliegenden Bildpartien ausgeht. Sie fungieren als visuelle Ankerpunkte oder Begrenzungen, die dem Ausufern der Unschärfe Einhalt gebieten, die Tiefenwirkung konterkarieren und den Kompositionen Statik verleihen. Wo sie fehlen, erkundet Katja Blum auf voller Fläche die Balance von Farbverlauf, Licht und Schatten, wodurch ein unmittelbares Hineinkippen ins Bild entsteht. Hat sich der Blick einmal vom Objekt gelöst, beginnt das Erfahren der Komposition, in der jegliche Spuren der Künstlerin fehlen. Auch Ort, Zeit, Gegenstand und Intention sind unbestimmbar. Nicht einmal das Medium selbst steht bei erstem Betrachten außer Frage. Die Künstlerin schafft es, den Farbauftrag so gleichmäßig und eben zu gestalten, dass man glauben möchte, ein chemischer Prozess hätte die sanften Übergänge ermöglicht. Aus der Ferne wirken die Graphiken wie Drucke und die Malerei wie Fotoexperimente. Sie referenzieren auf Verfahren, die keine unmittelbare Berührung und Handschrift tragen. Wo sich Blum an Farbe heranwagt, drängen sich Vergleiche mit chromatographischen Versuchsanordnungen oder den changierenden Oberflächen chromatierten Metalls auf, deren Details sie uns zu sehen gibt, damit wir die perfekten Verläufe bestaunen können. Auch durch diese Verweise auf andere Medien, industrielle Fertigungen oder Bildträger schafft Katja Blum Momente der Verwirrung. Trotzdem wirken die Arbeiten nie bemüht, eine explizite Dramatik hervorzurufen. Behutsam und bestimmt setzen sie stattdessen durch Vieldeutigkeit unsere Gedanken in Bewegung.

Flooding the joints of space

We need not fear the silences – We may love them.
John
Cage

The artistic work of Katja Blum astounds by its power of refinement. It is created on different media, in all seriousness, yet far from artificial constraints.

For years Katja Blum has been pursuing a method of charting spaces (cartography) and volumes (architecture), of composing and recreating systems of classification she happens to come across. Found images of street maps or landscape structures, personal photographic records of architectural arrangements, of container depots or city blocks are decontextualized by reinvention and dislocation of their specific order, the resulting motifs oscillating between abstraction and novel concepts of formal concretion. Traditional top- and overviews are taken out of their functional system of reference and put into a new pictorial coherence which stands on its own. Narrative moments may appear on examination— messages from newly found districts somewhere between the real and the unclassified. Trying to find a decisive perspective or a concrete form, the spectator will reach places that do not logically follow a specific concept. Between this abstract and figurative imagery a dialogue of forms ensues.

One of the main strengths of these paper works, the collages and prints is the overall dramaturgy of appearance and absence. In its deepest sense work is done with and on structures by rhythmic alternations of placement and space, sound and silence, material and gap. The precise work of the arrangement of geometric forms and bold lines, whether they are cut, stuck or printed which in their overall orientation often already produce an organic whole, there is always also a very conscious composition of empty space. The counterpart of structure being the complete absence of creation, the unformulated space, the blank sheet, is not meant to be mere surrounding but rather part of the motif itself. These compositions are meant to offer the experience of sophisticated spatial perception.  They pay homage to a courageous, audible silence.

Our conventional relationship to the image as a seamless coat, a window or a skin could not be challenged in a more drastic way than by the work called „Cut Paper“ („geschnittenes Papier“): the cadence of placement of singular forms is being inversed  by cutting out instead of adding to. The absence of paper is presented in form of holes as proportions are reversed. We experience missing material as a condition for the presence of form. The paper is not only medium for the image but literally its object.  The overall structure of these minutely cut single forms presents a motif which can come into existence via paper bridges, inversed joints and seams that meet the empty periphery, very much like a coastal line that emerges where vast territories of land and sea unite. The pictorial components of both untouched expanse and a specific denomination of holes are thus inseparable.  Layers are created on the paper space by these formations, rejuvenating in perspective or creating a cartographic counterpart. The map as a means of orientation or measurement of space, always dedicated to a specific function, would not be possible without reference points.  These references are solely present inside the image. Often found in sequential order, the papers are hanged side by side with a vertical pause created by the boundaries of the format. The gap room between wall and paper creates a visible shadow. The white paper object receives its darker, partly fence-like though immaterial opposite. As a two-dimensionally restructured “rip off” the shadow image visually disrupts the continuation of the wall. The artist is thus able to create a complex structure of space parameters, in which areas of image and real space are combined.

In the stacked picture series the linear gradation of the paper stacks, shadow lines or brightly lit lines emerge, depending on the specific incidence of light. These lines in turn optically change the topographic orientation of bulge or cavity, of up and down.  The surface, which always has its own plasticity, a volume reaching into space, is being put into focus of our perception. Only in those places where distinctions appear, tactually or optically, the object emerges. But when does a surface take shape? At which level of height does a thing differ from a plane surface?

The visual and physical spaces, in which we exist, our level of experience and reflection is extended by the virtuosic imagery employed in the works of Katja Blum. The print work “Venice” (“Venedig”, 2008) specifies different proportions of masses on paper: the open room materializes in a block of colour, the volumes of houses which visually occupy and penetrate the air are cut out. The border contours belong to both forms, they separate and unite. Different means of joining and separation are relevant in her work. Lines, as shown here, belong to both dimensions and the principle of the seam or the fugue, which refers in a spatial context to the gap between bodies secured on each other. The fugue represents the third immaterial element, which simultaneously guarantees separation and conjunction. In the arrangement of the musical fugue the principle of imitation and repetition is predominant—the modulation of an underlying theme similar to the geometric elements of the “cut out spaces”. The pictorial realities we encounter in the works of Katja Blum exemplify that images have the potential to re-invent the measure of things, to re-invent our perception, giving us access to new, uncharted territory.

Durchflutete Raumfugen

Wir brauchen diese Stille nicht zu fürchten – wir könnten sie lieben.
John Cage

Die künstlerischen Arbeiten von Katja Blum erstaunen in ihrer Feinheit, die in sich eine konzentrierte Kraft birgt. Sie sind, in unterschiedlichen Medien realisiert, ernsthaft, jedoch jenseits strikter Festlegung.

Seit Jahren verfolgt Katja Blum eine Arbeitsweise, die sich als Untersuchung vorgefundener flächiger (Karthographie) und volumenhafter (Architektur) Ordnungssysteme und dem individuellen Gestalten, der eigenwilligen Komposition versteht. Gefundenes Bildmaterial von Stadtplänen und Landschaftsstrukturen, selbst gefertigte Fotografien von architektonischen Anordnungen, von Containern oder Häuserblöcken werden dekontextualisiert und durch Verschiebung und Neuschöpfung jener Ordnungen zu Bildmotiven, die sich zwischen Abstraktion und neu konzipierter formaler Konkretisierung bewegen. Tradierte Auf- und Ansichten werden aus ihrer Verweis – Funktion entwendet und in einen neuen Bildzusammenhang gebracht, welcher so sein eigenes Dasein behauptet. Narrative Momente können während der Betrachtung stattfinden – als Erzählung eines neuen Gebietes, einer Gegend, die sich an Orten zwischen Realem und nicht Einordbarem befinden. Versucht man perspektivische Eindeutigkeit zu sehen, oder eine konkrete Form, so gerät der Blick an Stellen, die nicht logisch einem bestimmten Konzept folgen. Der Dialog von Formen geschieht in abstrakter und figurativer Bildsprache.

Eine der Stärken dieser Papierarbeiten, Collagen und Drucke ist die Dramaturgie von

An – und Abwesenheit von Setzungen. Im ureigensten Sinne geschieht hier die Arbeit mit und an Strukturen, die von sich aus immer aus verschieden rhythmitisiertem Abwechseln von Setzung und Lücke, Ton und Pause, Material und Loch besteht. Zu der präzisen Arbeit der Entscheidungen für die Anordnungen von geometrischen Formen, schwungvollen Linien, die in ihrer Bezogenheit ein oftmals organisches Ganzes ergeben, seien diese geschnitten, geklebt oder gedruckt, geschieht hier auch immer die bewusste Komposition der freien Fläche. Das Pendant zur Struktur, nämlich der ganz und gar ungestaltete Raum, die Leere des Bildes, eines Blattes, ist hier nicht Umraum, sondern ebenfalls Motiv. Wir erfahren eine Hommage an diese Leere, eine mutige, hörbare Stille. 

Diese Kompositionen lassen uns differenzierte Raumerfahrungen erleben.

Drastischer als in den Arbeiten „geschnittenes Papier“ können unsere konventionellen Beziehungen zum Bild als ganzheitlicher Schicht, als Fenster oder Haut kaum herausgefordert werden. Die Setzung von Einzelformen, der Duktus, geschieht hier in umgekehrter Weise: durch Wegschneiden anstatt durch Hinzufügen. Die Absenz des Papiers wird in Form von Löchern präsent gemacht. Die Verhältnisse drehen sich um, wir machen die Erfahrung der Abwesenheit von Material als Bedingung für die Anwesenheit von Form. Das Papier ist nicht Bildträger, sondern buchstäblich Bildobjekt.

Die gesamte Struktur der einzelnen kleinen geschnittenen Formen ergibt ein Motiv, welches nur existieren kann aufgrund der Papierstege dazwischen, den umgekehrten Fugen und der unberührten Peripherie, ganz so, wie die Küstenlinie sich durch das Aufeinandertreffen von Land- und Wasserraum ergibt, gehören die beiden Bildkomponenten von unberührter Flächenausdehnung und gestückelter Lochanordnung zusammen. Diese Formationen legen Ebenen in den Blattraum, die sich perspektivisch verjüngen oder ein kartografisches Gegenüber formulieren. Die Karte als Orientierung und Vermessung von Raum und immer einer Funktion verpflichtet ist nicht denkbar ohne Referenten. Die Bezüge sind hier ausschließlich innerhalb des Bildes anwesend. Oftmals in sequentieller Folge, werden die Blätter in einem Abstand mit der senkrecht einschneidenden Pause der Formatgrenze zur Wand gehängt. Der Luftraum dahinter sorgt für den sichtbaren Schatten. Das weiße Papierobjekt erhält sein dunkles, teils gitterartiges und gleichsam immaterielles Gegenüber. Als flächiger, in sich unstrukturierter Abklatsch unterbricht das Schattenbild visuell das Kontinuum der Wand. Die Künstlerin versteht es, ein komplexes Gefüge von Raum – Parametern zu gestalten, in denen Bildraum und realer Handlungsraum ineinander greifen.

In den geschichteten Bildern sind es die linearen Abstufungen der Papierlagen, die je nach Lichteinfall Schattenlinien oder hell aufleuchtende Linien hervortreten lassen und die topografischen Verortungen von Wölbung und Mulde, von oben und unten optisch verändern können. Die Oberfläche, die immer eine Plastizität hat und als solche ein in den Raum hineinragendes Volumen ist, wird gezielt in den Fokus unserer Wahrnehmung gebracht. Erst die Stellen, die sich unterscheiden, optisch oder haptisch vermitteln seinen Gegenstand. Ab wann ist eine Oberfläche ein Objekt, eine Form? Ab welcher Höhe unterscheidet sich ein Ding von einer Fläche?

Die visuellen und physischen Räume, in denen wir uns befinden, erfahren durch die Arbeiten von Katja Blum eine Erweiterung auf den Ebenen des Erlebens und Reflektierens durch virtuose Bildschöpfungen. Die Druckarbeit „Venedig“ (2008) benennt Massenverhältnisse auf dem Blatt anders: Der freie Luftraum ist hier materieller Farbblock, die Hausvolumen, die den Luftraum besetzen und visuell beschneiden, sind ausgespart. Die Grenzkonturen gehören zu beiden Formen, trennen und verbinden. Verschiedene Verbindungs- und Trennungsarten sind in den Arbeiten relevant. Linien, die wie hier beiden Dimensionen angehören und das Prinzip der Fuge, bekannt aus räumlichen Zusammenhängen, als Spalt zwischen zwei Körpern, die aneinander fixiert sind. Die Fuge stellt somit ein eigenes, immaterielles drittes Element dar, welches die Trennung und Verbindung gleichsam garantiert. In musikalischer Fugenordnung ist das Prinzip der Imitation und Wiederholung ausschlaggebend – die Modulation eines grundlegenden Themas ähnlich der geometrischen Versatzstücke der „geschnittenen Räume“.

Die Bildrealitäten, die uns in Katja Blum’ s Werk begegnen zeigen, dass Bilder das Potential haben können, die Verhältnisse der Dinge und auch unsere Wahrnehmung neu zu erfinden und wir dadurch neuen, freien Raum bekommen.